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Frühgeburt bei Rindern

Einleitung

Die durchschnittliche Tragzeit einer Kuh beläuft sich nach den gegenwärtigen Lehrbuchinformationen auf 285 Tage. Gemäß -allgemein anerkannten veterinärmedizinischen Feststellungen ist ein Kalb, das vor dem 270. Tag zur Welt kam, nicht überlebensfähig -(Grunert 1993). Insbesondere Rinderfeten, deren -Körper noch nicht behaart sind, scheinen das Reifestadium für das Überleben nach einer Geburt noch nicht erreicht zu haben (Rüsse und Sinowatz 1991; Schnorr und Kressin, 2011). Dies verdeutlicht zudem eine Studie in Deutschland (Steinhöfel et al., 2012), in der 20.000 Rindergeburten analysiert wurden. Mit dem 270. Tag hat scheinbar ein Rinderfetus eine Reife erlangt, die das Kalb außerhalb des Mutterleibs am Leben erhalten kann. Es gibt inoffizielle Berichte von Landwirten im Internet, die von zu früh geborenen Kälbern erzählen, die einige Wochen vor dem Geburtstermin geboren wurden und aufgezogen werden konnten. Die meisten dieser Kälber verstarben jedoch trotz intensiver Fürsorge. Andere wiederum berichten von drei bis vier Wochen zu früh geborenen Kälbern, die unproblematisch aufgezogen wurden (Mit Frühgeburt Problem, agrar heute am 20.03.2017).

Fallbeschreibung

In einem Bio-Milchhof in Niederösterreich unweit von Wien wurde eine vier Jahre alte Färse einer Holstein--Fleckvieh-Mischung mit der Ohrmarke 5977122, die schon einmal abortiert hatte, am 6. Juni 2016 mit dem Samen eines Fleckviehbullen (Polarbär für Kalbinnen, Ohrmarke 1501192, Besamungsstation Wieselburg) besamt. Der Besitzer der Kuh erwartete die Geburt am 14. März 2017. Alles schien sich normal zu entwickeln. Bei einem Routinegang durch den Stall in der Früh des 6. Februar 2017 bemerkte der Landwirt, dass die Kuh frühzeitig, ohne vorher jegliche Anzeichen einer bevorstehenden Geburt zu zeigen, gekalbt hatte. Das weibliche Kalb wog 14 Kilo. Es kam 37 Tage vor dem errechneten Geburtstermin, also nach einer Tragzeit von 246 Tagen, auf die Welt, atmete und schrie. Der Besitzer ging davon aus, dass das Kalb nicht überleben würde, legte es in einen gepolsterten Hundekorb und deckte es mit einer Decke zu. Das Neugeborene war im Körperbereich haarlos, die Haut mit dunklen Flecken pigmentiert, die Hautoberfläche am Körper fühlte sich kalt und die Gliedmaßen eiskalt an. Vorsichtshalber positionierten die Eigentümer des Bauernhofes einige Plastikflaschen, gefüllt mit warmem Wasser, neben dem Tier in den Hundekorb und deckten es ab. Als das Kalb nach dem Melken einige Stunden später noch am Leben war, wurde der Hoftierarzt verständigt, der dem zu früh Geborenen Gammaserin, Selen, Serovit und Vanasulf verabreichte, um damit auch den Saugreflex anzuregen. Die Besitzer des Tieres ernährten das Kalb in den ersten Tagen mithilfe eines Kälberdrenchers und gaben ihm kleine Portionen Kolostrum von der Mutterkuh, die sich ohne Probleme mit der Hand melken ließ. Nach ein paar Tagen erkrankte das Kalb an einer Bronchopneumonie und wurde antiphlogistisch und antibiotisch versorgt. Dann kam blutiger Durchfall hinzu, der peroral mit einem Styptikum und parenteral mit Ringer-Laktat behandelt wurde. Zusätzlich wurde eine Antibiose angeschlossen. Nach wenigen Tagen hatte sich der Saugreflex etabliert und das Kalb konnte mit dem Eimer und dem anhängenden Sauger gefüttert werden. Am 25. Februar, im Alter von zwei Wochen, aber immer noch gute zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin, wog das Kalb bereits 21 Kilo und entwickelte sich gut. Mittlerweile hatte sich am Körper das Haarkleid gebildet. In den ersten Tagen wurde das Frühchen in der Wohnung gehalten, wo ebenfalls mehrere Katzen zu Hause waren. Das Kalb beobachtete diese Mitbewohner und begann, sich am ganzen Körper bis zur Schwanzspitze mit der Zunge zu putzen. Es versuchte, mit den Beinen auch an den Rücken zu gelangen, um sich wie die Katzen auch dort zu reinigen. Das Kälbchen legte sich am 25. Februar sogar auf das Bett des Hofbesitzers, weil es bemerkt hatte, dass dieser sich jeden Tag zur Mittagszeit für eine kurze Zeit dorthin legte, um sich auszuruhen. 

Ab dem 1. März wurde das Kalb dann auf den Hof in die Sonne gebracht, wo es die ersten Sprünge versuchte. 

Am gleichen Tag kam ein weiblicher Schäferhundwelpe auf den Hof. Sofort fühlte sich das junge Kalb für diesen verantwortlich und leckte den neuen Hausbewohner am ganzen Körper, um ihn zu putzen. Der Welpe suchte ebenfalls die Nähe des Kalbes. Beide ruhten bei engem Körperkontakt auf der gemeinsamen Decke. Beide Tiere meldeten sich am Morgen zeitgleich, um in den Hof zu gelangen und dort Kot und Harn abzusetzen. Langsam wurde das Kälbchen auch in den Kälberstall geführt, um sich auch an die anderen Neugeborenen zu gewöhnen. Zuerst blieb es allerdings beim Beschnuppern, ohne in die Boxen der anderen gelassen zu werden. Das zu früh Geborene war anderen Kälbern gegenüber vom Gewicht und der Größe her immer noch deutlich unterlegen. Mögliche Rangordnungskämpfe hätten womöglich zu Verletzungen geführt. Seit dem 6. März begann das Kalb, sich für Heu und Gras zu interessieren, und es setzte das Wiederkauen ein. Es wurde auch nicht mehr mit dem am Eimer hängenden Sauger gefüttert, sondern durfte direkt aus dem Eimer trinken, wobei pro Mahlzeit jeweils ein Liter Milch verabreicht wurde. Es hatte sich herausgestellt, dass sich nach dem Trinken mit dem Sauger ein Hustenreflex einstellte, der nach dem Trinken aus dem Eimer nicht mehr auftrat.  

Diskussion

Nach der eingangs erwähnten rezenten sächsischen Studie von über 20.000 Rindergeburten (Steinhöfel et al., 2012) betrug die mittlere Trächtigkeitsdauer 278 Tage. Somit weicht diese Erkenntnis von der üblichen in Lehrbüchern zu findenden Periode von 285 Tragzeitstagen ab (Grunert 1993). Gemäß diesen Untersuchungen im Bundesland Sachsen in Deutschland konnte belegt werden, dass Kälber, die vor dem 270. Tragtag zur Welt kamen, deutlich schlechtere Überlebenschancen hatten. Die Kälberverluste bei Kühen mit einer Tragzeit von 265 bis 269 Tagen lagen bei 24 Prozent, die bei einer Tragzeit von 270 bis 274 Tagen betrugen lediglich sechs Prozent.

Laut Grunert 1993 sind 95 Prozent aller vor dem 270. Tragtag geborenen Kälber pathologisch. Uns ist nicht bekannt, dass ein Kalb nach einer Tragzeit von nur 246 Tagen und ohne Körperbehaarung überlebt und sich danach gut entwickelt hätte.